Freude am Widerstand

Susan Crane, 80, ist seit vielen Jahren als Catholic Worker aktiv. Die gelernte Sonderpädagogin und unermüdliche Friedensaktivistin wohnt und arbeitet derzeit im »Haus der Gastfreundschaft« in Redwood City in Kalifornien. Im Vorfeld ihres »Pilgerwegs« ins Gefängnis in Wöllstein (Rheinland Pfalz), wo sie am 4. Juni ihre 229-tägige Haftstrafe wegen Aktionen zivilen Ungehorsams gegen die US-amerikanischen Atomwaffen in Büchel antrat, gab sie CONTRASTE-Redakteurin Ariane Dettloff das folgende Interview.

CONTRASTE: Wie lebst und arbeitest du in einem Haus der Gastfreundschaft der Catholic Worker?

Susan Crane: Wo immer ich lebe, fühle ich mich ruhelos. Die Werte unserer Welt drehen sich um Geld, Geld, Geld; aber mir geht es um das Miteinander von Menschen. Deshalb habe ich mein ganzes Leben lang versucht, in alternativen Gemeinschaften zu leben. Im Moment arbeite und lebe ich beim Redwood City Catholic Worker zusammen mit geflüchteten Familien und ihren Kindern. Jahrzehntelang kümmerte sich die Redwood City Catholic Worker-Gemeinschaft um Kinder, die einen Platz zum Leben brauchten. Larry Purcell hat das Haus mit anderen zusammen vor über 40 Jahren gegründet. Es bietet Gastfreundschaft, Bildungsmöglichkeiten und viele andere Projekte an. Einige der Jugendlichen, die hier gelebt haben, waren unbegleitete Flüchtlinge, andere waren nicht in der Lage, zu Hause zu leben. Eine Zeit lang hatten wir saudische Frauen aufgenommen, die nicht sicher nach Hause zurückkehren konnten.

Wie sind die Lebensbedingungen im Catholic Worker-Haus? Wie sieht dein tägliches Leben aus?

In unserem Haus wird niemand für seine Arbeit bezahlt und es wird auch nichts verlangt. Die Liebe ist das A und O. Den ganzen Tag über kommen Menschen zu uns und hoffen auf Hilfe. Sie brauchen zum Beispiel einen Schlafsack, ein Zelt oder eine Busfahrkarte. Sie kommen, wenn sie gerade aus dem Gefängnis gekommen sind und eine Mahlzeit oder Kleidung brauchen. Sie kommen wegen eines Hygienesets oder um sich zu waschen. Zweimal in der Woche servieren wir am frühen Morgen eine Mahlzeit. Wir nennen es Frühstück, obwohl wir zum Beispiel Reis, Hühnchen, Salat und selbstgebackene Brownies auftischen. An einem Tag in der Woche gehen wir zu den Obdachlosenlagern und besuchen die Leute dort. Wir bringen belegte Brote und andere Lebensmittel, Kleidung und andere Dinge, die gespendet werden. Freitags haben wir eine große Obst- und Gemüsespende. Etwa 90 Familien erhalten je zwei große Tüten mit Lebensmitteln.

Hier zu leben, bedeutet, dass unser persönliches Leben durch die vielen Bedürfnisse der anderen immer wieder unterbrochen wird. Gleichzeitig fragen wir uns, warum es in einer der wohlhabendsten Gegenden der USA (Silicon Valley) so viel Leid und Armut gibt. Unsere Antwort ist, dass die Prioritäten unserer Nation falsch gesetzt sind. Wir geben mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts für Kriegseinsätze aus und nur sehr wenig für menschliche Bedürfnisse.

Was sind deine Lieblingsbeschäftigungen?

Ich habe Saxophon spielen gelernt, als ich wegen einer Pflugschar-Aktion*1 im Gefängnis war. Jetzt spiele ich in einem Gemeindeorchester, in einer Straßenband für Demonstrationen und in einem kleinen Quintett. Ich genieße die Gemeinschaft, die sich um das Frühstücksprogramm herum gebildet hat, und ich genieße es, mich gegen die todbringende Kultur zu wehren, in der wir leben.

Was hat dich dazu bewogen, beim Catholic Worker mitzumachen?

Ich war verzweifelt. Denn ich finde es schwer, in unserer Welt ein Zuhause zu finden. Menschen aufgrund ihrer Klasse, Hautfarbe, Religion oder Nationalität unterschiedlich zu behandeln, hat für mich nie einen Sinn ergeben, nicht einmal als Kind. Wir sind alle Brüder und Schwestern. Der Catholic Worker ist ein Ort, an dem wir anderen dienen und sie gleichzeitig um Vergebung bitten können. Das Essen, die Schlafsäcke und die Hygieneartikel gehören denen, die sie brauchen, nicht uns. Auf unserer großen Veranda bieten wir ständig »Geschenke« an. Leute bringen Gegenstände mit und lassen sie liegen, und andere, die sie brauchen, nehmen sie mit. Es wird kein Geld ausgetauscht, es ist eine Geschenkökonomie. Vorbeigebracht werden Dinge wie Lebensmittel, Kleidung, Elektronik, Campingausrüstung und manchmal auch Möbel.

Was hat dich motiviert, dich der Friedensbewegung anzuschließen?

Ich bin nach dem College als Lehrerin zum Friedenskorps gegangen, weil ich dachte, dass Bildung die Probleme der Welt lösen würde. In Äthiopien sah ich, dass es dort die gleichen Unternehmen gab wie in den USA, und ich sah, dass der Einfluss und die »Hilfe« der USA und des US-Militärs an Bedingungen geknüpft waren. Daraufhin habe ich mich entschieden, die Probleme hier in den USA an der Wurzel anzugehen.

Warum beteiligst du dich an Aktionen des zivilen Ungehorsams?

Es ist eine Möglichkeit, meine Empörung darüber auszudrücken, wie schlecht die Menschen behandelt werden. Ich sehe, wie Kriege angezettelt und vorbereitet werden, und wie die Schätze der USA (und anderer Länder) für Kriege verschwendet werden. Ich stelle mir eine Lebensweise ohne Hierarchie, ohne Unterdrückung, basierend auf dem Geschenk statt auf dem Tausch und ohne Klassen vor. Wo die Menschen die Kontrolle darüber haben, was sie tun, und wo jede*r ein*e Arbeiter*in und jede*r ein*e Denker*in ist. Wo niemand von der Arbeit eines anderen lebt, sondern wo wir alle an den Aufgaben teilhaben, die erledigt werden müssen.

Außerdem lehrt man uns, einander zu lieben und auch unsere Feinde zu lieben. Ich kann es nicht rechtfertigen, Geld für die Tötung anderer Menschen zu bezahlen, also zahle ich keine Kriegssteuer (ich versuche es jedenfalls, doch ich werde gepfändet). Aber wie kann ich verhindern, dass ich mit dem, was die USA in meinem Namen tun, einverstanden bin? Ich kann wählen, ich kann Briefe schreiben, ich kann mich organisieren, aber all das allein reicht nicht aus. Ich spüre das Bedürfnis, mehr zu tun. Ich spüre das Bedürfnis zu sagen: Kein Töten mehr in meinem Namen! Und wenn ich das auf Militärstützpunkten immer wieder tue, werde ich verhaftet.

Wie kam es, dass du nach Deutschland gekommen bist und dich dem Protest gegen Atomwaffen in Büchel angeschlossen hast?

Marion Küpker, eine Friedensaktivistin vom Versöhnungsbund e.V., war zu einem Treffen der National Catholic Worker gekommen und hielt einen Vortrag über den Widerstand in Deutschland gegen die 20 dort stationierten US-Atomwaffen. Sie lud uns ein, sich im nächsten Sommer den deutschen Widerstandskämpfer*innen anzuschließen. Einige von uns, organisiert von John LaForge von »Nukewatch«, bildeten die US-Friedensdelegation in Deutschland und fuhren zum Internationalen Friedenscamp in Büchel, das von Marion und 64 deutschen Friedensgruppen organisiert wurde. Es waren deutsche Catholic Worker und Leute aus dem Amsterdamer Catholic Worker-Haus dabei. Die ganze Gruppe bestand aus gewaltfreien Aktivist*innen. Ich finde es toll, dass das Herzstück dieser Arbeit die Aktion ist. Als ich im Friedenscamp in Büchel war, da fühlte ich mich zu Hause. Es ist ja nicht leicht, eine Heimat zu finden.

Kannst du deine Go-Ins in die Militärbasis in Büchel beschreiben? Wie war das organisiert?

Die Go-Ins begannen mit einem Gewaltfreiheits-Training und einer Diskussion darüber, was Gewaltfreiheit für jede*n von uns bedeutet. Wir waren uns alle einig, dass gewaltfreie direkte Aktionen ein geeignetes Mittel sind, um das Personal auf dem Fliegerhorst zu warnen, dass Atomwaffen illegal und unmoralisch sind. Wir betrachten den Stützpunkt Büchel als Schauplatz eines andauernden Verbrechens. Bei einem Go-In im Jahr 2018 teilten sich 18 Personen aus Deutschland, den Niederlanden, England und den Vereinigten Staaten in fünf Gruppen auf. Jede Gruppe hatte Transparente, Zaunscheren und Kopien des Appells an die Pilot*innen und das Personal auf dem Luftwaffenstützpunkt dabei. Am helllichten Tag gingen wir gemeinsam zum Zaun, verteilten uns in einem Abstand von etwa fünf Fuß zueinander, durchtrennten in unseren kleinen Gruppen den Zaun und betraten das Militärgelände. Einigen von uns gelang es, auf einen Bunker zu klettern – einen geschützten Flugzeugbunker, in dem möglicherweise atomare B12-Sprengköpfe gelagert wurden.

Wie habt ihr das deutsche Polizei- und Justizsystem erlebt?

In den Situationen, an denen ich rund um den Fliegerhorst Büchel beteiligt gewesen bin, verhielten wir uns gewaltfrei und höflich gegenüber der Polizei, und die Polizei war im Allgemeinen höflich zu uns. Wir betrachteten die Polizei und das Militär als unsere Brüder und Schwestern.

Was hat dir hier am besten gefallen?

Die Freude am Widerstand. Die Gewaltlosigkeit so vieler verschiedener Gruppen – die Kriegssteuerverweigerer*innen, Pax Christi, die Ärzte der IPPNW, die Kommunist*innen, die Jugend, die kirchlichen Gruppen, die Evangelisch-Lutherischen. Ich mochte es, dass man so unterschiedlich sein und darüber reden konnte.

Würdest du dich als Anarchistin bezeichnen?

Ich bin eine gewaltlose Anarchistin, das heißt, ich möchte in einer selbstverwalteten Gesellschaft leben, ohne Klassenunterschiede, in der die Menschen selbst bestimmen können, was sie produzieren und wie sie es produzieren. Das Leben im Internationalen Friedenscamp in Büchel gab mir einen Einblick in diese Art von Leben. Ich bin vielleicht das, was Peter Maurin, der Mit-Gründer der Catholic Worker, »Kommunitaristen« nannte, gewaltfreie Anarchist*innen auf der Grundlage des Evangeliums.

Was empfindest du angesichts der bevorstehenden langen Haft in einem deutschen Gefängnis?

Ich bereue weder mein Handeln noch das, was ich vor Gericht gesagt habe. Wir haben getan, was menschengemäß ist. Wir haben das Leben geschützt. Wir setzten uns für das Leben ein und sagten Nein zum Tod. Ich habe versucht, eine bessere Welt für meine Enkelkinder zu schaffen – und auch für eure Enkelkinder.

Warst du schon einmal im Gefängnis?

Ich habe an mehreren Pflugschar-Aktionen teilgenommen. Jesaja spricht davon, Schwerter in Pflugscharen zu verwandeln, das heißt Kriegswaffen in etwas Nützliches für das menschliche Leben umzuwandeln.

Wir wurden vor Gericht gestellt und kamen ins Gefängnis. Unsere Sachverständigen durften nicht vor den Geschworenen sprechen, unsere Verteidigungsmittel wurden nicht zugelassen, wir wurden für schuldig befunden und ins Gefängnis gebracht. Insgesamt habe ich sechs Jahre im Gefängnis zugebracht. In den Gefängnissen konnte ich in der Regel arbeiten, meist als Lehrerin für Englisch als Zweitsprache oder Kurse zum Erwerb einer Hochschulberechtigung. Ich habe die Frauen, mit denen ich zusammen in Haft war, im Allgemeinen als freundlich erlebt. Sie haben die zehn- oder 20-jährigen Haftstrafen, die sie verbüßten, nicht verdient. Die meisten hatten mit Drogen gehandelt, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Bei den Gerichten in den USA geht es um Rache und in den Gefängnissen um Bestrafung. Gerechtigkeit findet man bei den Gerichten selten, wenn überhaupt.

Gibt es Vorbilder für dich?

Ich lasse mich von Menschen inspirieren, die sich für das Gemeinwohl eingesetzt haben, trotz aller Konsequenzen. Ich bin inspiriert von Sophie Scholl und der Weißen Rose, von Philip Berrigan, von Dietrich Bonhoeffer.

Was willst du nach deiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt Rohrbach tun?

Ich plane, zu den Catholic Worker zurückzukehren, wo ich helfen werde, die Ärmsten in Kalifornien zu ernähren, zu kleiden und zu unterrichten. Ich hoffe, dass ich mich wieder mit Freund*innen im internationalen Widerstand gegen die Kriegsführung engagieren kann. Und ich plane, meine Enkelkinder zu besuchen.

Hast du irgendwelche Empfehlungen für deutsche Aktivist*innen hinsichtlich ihres zukünftigen Engagements gegen den Krieg?

Zunächst einmal bin ich sehr dankbar für die deutschen und europäischen Aktivist*innen, die mich in ihre Widerstandsaktivitäten einbezogen haben. Es war eine Quelle der Hoffnung und des Trostes zu wissen, dass Menschen auf der ganzen Welt die Wahrheit wollen, Frieden und Gerechtigkeit wollen und den Irrsinn von Atomwaffen verstehen.

Susan freut sich über Briefe und Karten (vorzugsweise Englisch) an: Susan Crane, z.Zt. JVA Rohrbach, Peter-Caesar-Allee 1, 55597 Wöllstein.

Auch die mit ihr wegen ähnlicher Delikte (»Hausfriedensbruch« in Büchel) für 115 Tage inhaftierte Susan van der Hijden aus dem Catholic Worker Haus in Amsterdam freut sich über solidarische Post (sie versteht Deutsch).

Titelbild: Susan van der Hijden und Susan Crane (erste und zweite von links) verabschieden sich am 4. Juni in ihre »Mahnwache hinter Gittern«. Foto: privat

1 Die Pflugscharbewegung entstand aus einem Kreis friedenspolitisch engagierter katholischer Priester und Nonnen. Die Aktionen sind Akte zivilen Ungehorsams, bei denen Menschen symbolisch, jedoch real Waffen abrüsten. Das Ziel ist, eine öffentliche Diskussion in Gang zu bringen, um zu einer weltweiten Abrüstung zu kommen.

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